Post by Michael LandenbergerPost by Helmut WaitzmannIch geh' mal davon aus, dass du die gleichstufig temperierte
Stimmung (die Stimmung mit der gleichstufigen 12‐Teilung der
Oktave) meinst. Der Begriff «wohltemperiert» meint – so meine
ich mal gehört zu haben – historisch gesehen eine andere Stimmung
als die gleichstufig temperierte,
Die heute mit Abstand gebräuchlichste gleichstufige Stimmung
basiert auf der Festlegung, dass die Frequenz jedes Tons um den
Faktor 12te Wurzel aus 2 (~1,05946309436) höher ist als die des
Halbtons darunter.
Gut, wir reden also von der gleichen Stimmung.
Post by Michael LandenbergerNur diese Stimmung erlaubt Akkorde mit gleicher Klangcharakteristik
mit allen Tönen einer Tonleiter als Basis.
Ja, das sehe ich auch so.
Post by Michael LandenbergerBeispiel: Aus der C-Dur-Tonleiter kann man den Dreiklang C-E-G
bilden, aber auch die Dreiklänge F-A-C oder G-H-D. Daneben sind die
noch Moll-Dreiklänge D-F-A, E-G-H und A-C-E möglich. Bei einer
gleichstufigen Stimmung haben alle Dreiklänge (mit Ausnahme der
Tonlage) die gleiche Klangcharakteristik. Bei einer reinen
C-Dur-Stimmung würden die Akkorde mit Ausnahme des erstgenannten
dagegen grässlich verstimmt klingen.
Nein. Bei einer reinen C‐Dur‐Stimmung, etwa mit den Tonnamen wie
folgt (in Eulerschreibweise, siehe
<https://de.wikipedia.org/wiki/Eulersches_Tonnetz#Die_C-Dur-Tonleiter_in_harmonisch-reiner_Quint-Terz_Stimmung>)
c1 = 264 Hz
d1 = 297 Hz
,e1 = 330 Hz
f1 = 352 Hz
g1 = 396 Hz
,a1 = 440 Hz
,h1 = 495 Hz
c2 = 528 Hz
sind die Akkorde c1-,e1-g1, c1-f1-,a1-c2 und d1-g1-,h1 reine
Dur‐Akkorde, die Akkorde ,e1-g1-,h1 und c2-,e1-,a2-c2 reine
Moll‐Akkorde.
Der Akkord d1-f1-,a1 ist unrein: Das d1 ist zu hoch und müsste auf
,d1 = 293+1/3 Hz
abgesenkt werden. Dann entstünde ein reiner Moll‐Akkord ,d1-f1-,a1.
Zusammengefasst: Mit den Tönen c1 ,d1 d1 ,e1 f1 g1 ,a1 ,h1 lassen
sich von allen Stufen außer dem d1 und dem ,h1 ausgehend jeweils
entweder ein reiner Dur‐ oder ein reiner Moll‐Akkord aufbauen.
Post by Michael LandenbergerDie wohltemperierte Stimmung *ist* zumindest in der heute
gebräuchlichen Form eine gleichstufige Stimmung. Ob die z. B. von
J. S. Bach für das "Wohltemperierte Klavier" verwendete Stimmung
ebenfalls gleichstufig war und wenn nicht, wie sie dann geartet
war, ist umstritten. Fakt ist, dass es sich um eine Stimmung
gehandelt haben muss, in der alle Tonarten ohne Umstimmung des
Instruments spielbar waren. Das funktioniert am besten mit einer
gleichstufigen Stimmung.
Post by Helmut WaitzmannGleichstufig temperierte Stimmung ist etwas derartig Schräges:
Dort sind alle Intervalle (außer den Oktaven) verstimmt, und es
ist sehr schwer (oder gar unmöglich?) als Musiker während der
Darbietung das Maß der richtigen Verstimmung abzuschätzen und zu
kontrollieren.
Auf dem Klavier ist es faktisch unmöglich. Elektronische
Instrumente lassen sich theoretisch in beliebigen Skalen stimmen,
aber eine Umschaltung während des Spiels ist ebenfalls schwierig.
Wenn das Instrument EDV‐gestützt die Noten, die gespielt werden,
mitliest und harmonisch analysiert, ist eine Umschaltung sogar
automatisch möglich.
Ich habe mal ein digitales Tasteninstrument gesehen, bei dem man per
angeschlossenem Fußpedal zwischen zwei zuvor ausgewählten Stimmungen
umschalten konnte. Das erfordert natürlich, dass man das
Umschalte‐Pedal während des Spiels im richtigen Moment tritt.
Durch Umschalten beispielsweise zwischen den Tonvorräten
c1 = 264 Hz = 11*3*2^3 Hz
,d1 = 293,p3 Hz = 11*5/3*2^4 Hz
,e1 = 330 Hz = 11*5*3*2 Hz
f1 = 352 Hz = 11*2^5 Hz
g1 = 396 Hz = 11*3^2*2^2 Hz
,a1 = 440 Hz = 11*5*2^3 Hz
b1 = 469,p3 Hz = 11/3*2^7 Hz
c2 = 528 Hz = 11*3*2^4 Hz
(F‐Dur) einerseits und
c1 = 264 Hz = 11*3*2^3 Hz
d1 = 297 Hz = 11*3^3 Hz
,e1 = 330 Hz = 11*5*3*2 Hz
,fis1 = 371,25 Hz = 11*5*3^3/2^2 Hz
g1 = 396 Hz = 11*3^2*2^2 Hz
a1 = 445,5 Hz = 11*3^4/2 Hz
,h1 = 495 Hz = 11*5*3^2 Hz
c2 = 528 Hz = 11*3*2^4 Hz
(G‐Dur) andererseits können einerseits die Dreiklänge B‐Dur
(b1-,d1-f1) ,d-Moll (,d1-f1-,a1), F‐Dur (f1-,a1-c2), ,a‐Moll
(,a1-c2-,e2), C‐Dur (c1-,e1-g1), und andererseits die Dreiklänge
C‐Dur (c1-,e1-g1), ,e‐Moll (,e1-g1-,h1), G‐Dur (g1-,h1-d2), ,h‐Moll
(,h1-d2-,fis2) rein gespielt werden. Dabei ist derselbe
C‐Dur‐Akkord in beiden Tonvorräten enthalten.
Die Frequenzverhältnisse eines reinen Dur‐Akkords in Grundstellung
(Prim – gr. Terz – Quint) sind 4 : 5 : 6; die Frequenzverhältnisse
eines reinen Moll‐Akkords in Grundstellung (Prim – kl. Terz – Quint)
sind 10 : 12 : 15, was gleichbedeutend mit 1/6 : 1/5 : 1/4 ist.
(Daran sieht man auch, dass ein Moll‐Akkord die Spiegelung eines
Dur‐Akkords ist: Die Frequenzverhältnisse und die Tonreihenfolge
kehren sich um.)
Post by Michael LandenbergerAlso werden sowohl Klaviere als auch elektronische Instrumente
hauptsächlich in gleichstufiger Stimmung gespielt. Bei Klavieren
gibt es allerdings die Besonderheit, dass tiefere Lagen abweichend
von der gleichstufigen Stimmung absichtlich etwas tiefer gestimmt
werden. Den Grund hast du bereits bei den Gitarren genannt: wenn
eine Saite schwingt, zerrt sie an ihren Aufhängungen, wodurch der
Ton etwas höher wird (FM-Modulation).
Das ist richtig, ist aber nicht das, was ich genannt habe. Ich habe
geschrieben, dass der Ton auf dem ersten Bund der A‐Saite, Bb2, je
nachdem, ob gleichzeitig auf derselben Gitarre die Töne Gb3, Db4,
Gb4 einerseits oder die Töne D3, G3, D4 und G4 gespielt werden,
unterschiedlich hoch klingen kann, obwohl er in beiden Fällen gleich
gegriffen wird, weil die am ersten Bund gegriffene A‐Saite von den
anderen gleichzeitig am selben Kopf und Steg befestigten
schwingenden Saiten beeinflusst wird.
Post by Michael LandenbergerDurch die tiefere Stimmung erreicht man, dass die schwingende Saite
dann doch die richtige Frequenz "trifft".
Unbestritten.
Post by Michael LandenbergerNichtsdestotrotz ist es auch bei Klavieren so, dass Ais und B mit
derselben Taste gespielt werden und somit dieselbe Tonhöhe haben.
Dass das Klavier nicht mitliest, ob in den Noten nun Ais oder B
steht, ist unbestritten. Daraus kann man aber nicht schließen, dass
die Ais/B‐Taste immer denselben Ton spielt. Es kommt sehr wohl
darauf an, ob gleichzeitig zur Ais‐/B‐Saite noch Saiten mit den
Tönen Ges und Des einerseits oder G und D andererseits gespielt
werden: Die B‐Saite des Klaviers klingt, wenn man einen
Ges‐Dur‐Akkord dazu spielt, ein wenig tiefer als dann, wenn man
einen g‐Moll‐Akkord dazu spielt. Der Grund dafür ist, dass die
Klaviersaiten in den selben Rahmen eingespannt sind und sich deshalb
beim Schwingen gegenseitig beeinflussen.
Und das ist auch gut so, denn es bewirkt, dass bei einem
gleichstufig gestimmten Klavier die Ges‐Dur‐ und die g‐Moll‐Akkorde
nicht in gleichstufiger Stimmung nach Art von Katzenmusik erklingen,
sondern sich die drei beteiligten Töne durch gegenseitige
Beeinflussung in eine Stimmung begeben, die einer reinen Stimmung
näher ist als die gleichstufig temperierte: Die gegenseitige
Beeinflussung verbessert die Stimmung.
Der von dir genannte Effekt, dass tiefere Klaviersaiten tiefer als
einer gleichstufigen Stimmung entsprechend gestimmt werden (und
höhere Klaviersaiten entsprechend höher) hat den Effekt, dass alle
Intervalle – insbesondere die Oktaven – auf dem Klavier gestreckt
werden. Man macht das deswegen, weil die Oberschwingungen einer
jeden Saite aus den von dir genannten Gründen von ihrer harmonischen
Tonhöhe um so mehr nach oben abweichen, von je höherer Ordnung sie
sind. Anders ausgedrückt: Klaviersaiten haben gespreizte
Obertonreihen. Wenn man jetzt auf dem Klavier eine Oktave greift,
passen beide Saiten besser zu einander, wenn sie gespreizt gestimmt
sind, weil dann die Frequenz der zweiten Harmonischen der unteren
Saite besser mit der der ersten Harmonischen der oberen Saite
übereinstimmt.
Dieser Spreizeffekt macht sich störend bemerkbar, wenn das Klavier
zusammen mit anderen Instrumenten, bei den das nicht der Fall ist,
beispielsweise Pfeifen‐Instrumenten, gespielt wird. Dann gibt es
keine Möglichkeit, die Instrumente so zu stimmen, dass es passt:
Entweder stimmen die tieferen Töne und die höheren passen nicht
zusammen oder umgekehrt. => Einen gewissen Katzenmusik‐Effekt wird
man dann nicht los.
Ein richtiger Konzertflügel ist in der Hinsicht besser: Die Saiten
sind länger und dünner und die Oberschwingungen deshalb weniger
verstimmt. Deswegen muss man ihn auch nicht so gespreizt stimmen.